Neu im Kino: „The Mule“ von und mit Clint Eastwood
Ein neues Meisterwerk des Altmeisters
In Film drei nach seinem angekündigten Rücktritt als Schauspieler präsentiert sich Leinwand-Veteran Clint Eastwood in „The Mule“ als gewitzter Späteinsteiger im Drogengeschäft. Der narrt mit Starrsinn, Charme und Schläue die Drogenfahnder des DEA, treibt aber auch seine mexikanischen Auftraggeber das ein oder andere Mal zur Verzweiflung. Ein spannendes Krimidrama, durchsetzt mit je einem Schuss Tragik und Ironie.
Es war nach seinem Film „Grand Torino“, als Regisseur und Schauspieler-Ikone Clint Eastwood der Welt verkündete, er wolle keine Filme mehr drehen. Zumindest nicht mehr vor der Kamera agieren. Das war 2008. Eastwood, der in den 70er und 80er Jahren mit seinen Kino-Blockbustern das Warner-Studio fast im Alleingang über Wasser gehalten hatte, war da immerhin schon 78 Jahre alt. Inzwischen hat er seine damalige Rückzug-Ankündigung längst relativiert – und bereits 2012 war er wieder auf der Leinwand zu sehen: als Baseball-Scout in dem von Robert Lorenz inszenierten Sportlerdrama „Trouble with the Curve“. In Deutschland wurde der Film unter dem Titel „Back in the Game“ vertrieben – was durchaus als programmatische Kampfansage verstanden werden konnte, etwa nach dem Motto: Der alte Mann ist noch längst nicht fertig mit dem Kino.
Endlich wieder in einer Hauptrolle
Und tatsächlich: Eastwood trat in seiner nachfolgenden Regiearbeit „American Sniper“ (2014) immerhin schon wieder in einer Nebenrolle auf, und in seinem neuen Film „The Mule“ setzt er sich nun wieder mit der Hauptrolle in Szene. Zum Glück, möchte man sagen. Clint Eastwood ist mittlerweile 88 Jahre alt, aber er beherrscht nach wie vor die erzählerischen Mechanismen des Filmemacherhandwerks perfekt, und er strahlt noch immer die für den Filmschauspieler lebenswichtige Leinwandpräsenz aus. Von seiner selbstverständlichen Souveränität vor und hinter der Kamera können jüngere Regisseurs-Kollegen immer noch lernen, wie man einen funktionierenden Genrefilm dreht und dabei durchaus persönliche Ambitionen vermittelt – dazu noch mit einem dezent selbstironischen Unterton, der über jeden Verdacht von Albernheit oder gar Eitelkeit erhaben ist. Das ist meisterlich.
Starrsinnig, aber gewitzt
Er spielt den 90-jährigen Schwerenöter Earl, der als Blumenzüchter und spendabler Lebemann in der Gemeinde anerkannt und äußerst beliebt ist. Nicht jedoch bei seiner Familie, die er bei all seinen Aktivitäten stets im Stich gelassen hat. Von seiner Frau Mary ist er seit langem geschieden, Tochter Iris und Enkeltochter Ginny haben sich enttäuscht von ihm abgewandt. Als er dann überschuldet ist und Haus und Hof verliert, lässt sich Earl von einem mexikanischen Drogenkartell als Kurier anwerben – als sogenannter „Muli“.
Scheinbar ein leichter Job. Mit seinem Pickup fährt der agile Greis munter große Mengen Drogen durch die Lande, und das so selbstverständlich, dass Polizei und DEA ihn nicht unter Verdacht haben – obwohl sie den ständig üppiger ausgestatteten Kurierfahrten irgendwann auf die Spur kommen. Als Zuschauer ertappt man sich dabei, dass man mit dem alten Earl zu bangen beginnt und dann immer wieder von dessen Chuzpe überrascht wird, mit der er die Behörden wie auch die mexikanischen Gangster narrt. Er ist halt einer vom alten Schlag, Veteran aus dem Koreakrieg, und er setzt seine eigenen Prioritäten, bleibt sich selbst treu. Ganz wie es Clint Eastwood selbst mit dem Filmgeschäft gehalten hat.
Inspiriert durch einen Zeitungsartikel
Die Story um den 90-jährigen Drogenkurier beruht wohl auf einer wahren Begebenheit. Im Zeitalter von Fake News hat Eastwood allerdings die Formulierung „beruhend auf Tatsachen“ vermieden und schreibt statt dessen im Nachspann „Inspiriert von einem Artikel in der New York Times“. Er versteht genug von Kino, um zu wissen, dass sich ein wahres Ereignis allein durch die Inszenierung im Hollywood-Business meilenweit vom ursprünglichen Geschehen entfernt – auch das unterscheidet ihn wohltuend von Filmemachern, die ihren Film als „wahrheitsgetreu“ verkaufen wollen.
Zum Schluss ein guter Rat
Zum Schluss ein guter RatDer realste Hintergrund von „The Mule“ ist ein ganz anderer: Wenn Earl sich am Schluss mit seiner Ex-Frau Mary (Dianne Wiest) und seiner Tochter Iris aussöhnt, bekennt er sich auch zu seinem größten Versagen: die Familie vernachlässigt zu haben. Eastwood selbst, zweimal verheiratet und mehrfacher Vater aus diversen Beziehungen, hat die Rolle der Iris mit seiner eigenen Tochter Alison besetzt. Daher spricht möglicherweise auch ein bisschen Clint Eastwood aus dem alten Earl, der am Ende bekennt, er sei ein „schrecklicher Vater, ein schrecklicher Ehemann“ gewesen. Earl gibt dem Drogenfahnder Cooper (Colin Bates) abschließend einen Rat mit auf den Weg: „Familie ist das Wichtigste. Mache es nicht wie ich – ich habe die Arbeit vor meine Familie gesetzt.“
Wenn Clint Eastwood das sagt, muss es wohl stimmen. Gut, dass er wieder da ist.