Filmkritik und Trailer: „3 Tage in Quiberon“
Ein Film für Menschen mit Seele
Ein Interview als Hilfeschrei: Ein knappes Jahr vor ihrem Tod offenbarte die Schauspielerin Romy Schneider dem Stern-Redakteur Michael Jürgs und dem Fotografen Robert Lebeck ihre verwundbarste Seite. Jetzt nimmt die französische Regisseurin Emily Atef das damalige Geschehen zur Vorlage für eine mitreißende Charakterstudie.
Wer die französische Landstraße D768 in der Bretagne bis zu ihrem Ende abfährt, landet auf der kleinen Halbinsel Quiberon mit ihrem gleichnamigen Hafenstädtchen. Die knapp 5000 Einwohner Quiberons sehen sich jedes Jahr etwa 60.000 Touristen gegenüber, die vorrangig im Sommer Erholung auf der rund 14 Kilometer langen Halbinsel suchen. Zu den Kurgästen in Quiberon gehörte einst auch die Schauspielerin Romy Schneider, die sich bis in die frühen 80er Jahre mehrmals hierher zurückzog. So auch im Frühjahr 1981, als sich der sensible Weltstar in einem Kur-Hotel Quiberons einer Diät unterzog. Romy Schneider suchte Ruhe und Abstand vom Beruf, vor allem aber Orientierung in ihrem immer wieder öffentlich breit getretenen Privatleben. In Frankreich war sie als vergötterte Charakterschauspielerin eine Person von großem Interesse, in Deutschland kreidete man ihr in der Boulevardpresse immer noch an, dass sie auf der Flucht vor ihrem „Sissi“-Image dem deutschsprachigen Kino den Rücken gekehrt und in Frankreich eine komplett entgegengesetzte Rollenauswahl getroffen hatte – mit Filmen wie „Le Train“, „Die Dinge des Lebens“, „Trio Infernal“ oder „Nachtblende“.
Tragik eines Weltstars
Es ging Romy nicht gut in diesem Frühjahr 1981. Als Schauspielerin war sie erfolgreich und anerkannt, aber ihr Privatleben bekam sie nicht in den Griff. 1973 war die Ehe mit Harry Meyen gescheitert, und Romy war mit dem gemeinsamen Sohn David von Berlin nach Paris gezogen. Zwei Jahre später folgte die Scheidung, und 1979 beging Harry Meyen Selbstmord. Im Februar 1981, nicht lange vor ihrem Quiberon-Aufenthalt, hatte sich Romy auch von ihrem zweiten Ehemann Daniel Biasini getrennt, und ihr nun vierzehnjähriger Sohn David hatte sich entschlossen, bei seinem Stiefvater und dessen Familie zu bleiben. Ein tiefer Rückschlag für die Mutter Romy Schneider, und es erscheint nur logisch, dass sie in der Zurückgezogenheit des Kur-Hotels zu sich selbst finden wollte. Da erstaunt, dass sie trotzdem noch während des mit Enzugstherapien begleiteten Kur-Aufenthalts einem Interview und einer Fotosession mit der deutschen Illustrierten Stern zustimmte. Die Redaktion entsandte aus Hamburg den Star-Fotografen Robert Lebeck und den Journalisten Michael Jürgs, der damals das Unterhaltungsressort leitete und in späteren Jahren Chefredakteur des Magazins wurde.
Spannungsreiche Annäherung an einen Mythos
Aus der dreitägigen Begegnung mit Romy Schneider entstanden in Quiberon eine frappierend intime Interviewstrecke und eine legendäre Schwarzweiß-Fotoserie für den Stern, in dem die Schauspielerin ihre private Verletzlichkeit offen zeigte. „Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und heiße Romy Schneider“, bekundete sie in aller Öffentlichkeit. Diese Begegnung und die dabei entstandene Fotoserie nahm die französische Regisseurin Emily Atef („Das Fremde in mir“) nun zum Anlass und zum Ausgangspunkt für ihren Film „3 Tage in Quiberon“, mit dem die Filmemacherin eine außerordentlich spannungsreiche wie bewegende Annäherung an den Mythos und an die Person Romy Schneider schafft. Keinen Biografie-Film hätte sie gemacht, betont die 1973 in Berlin geborene, in Frankreich tätige Emily Atef, sondern eine Momentaufnahme aus Romys Leben, „in der es ihr für kurze Zeit gelingt, sich aus einer massiven Krise zu befreien.“
Der Öffentlichkeit schutzlos entgegen getreten
Um diese Momente zwischen Zwang und Freiheit im Kino erlebbar zu machen, nimmt sich Emily Atef die dafür notwendige künstlerische Freiheit. „3 Tage in Quiberon“ ist kein Dokumentarspiel, sondern sucht in der Fiktion nach Wahrhaftigkeit. Die sichtbar an die Fotos von Robert Lebeck angelehnten Schwarzweißbilder des Films bilden den äußeren Rahmen, ebenso die Schauspieler, die ihren realen Vorbildern möglichst ähnlich gemacht wurden. Die Dramatrugie dagegen unterwirft sich nicht dem Zwang einer Dokumentation. Das Drehbuch ist zwar gestützt durch intensive Recherchen und Gespräche mit Michael Jürgs und Robert Lebeck, den Emily Atef bei den Vorbereitungen zu ihrem Film noch befragen konnte, bevor er 2014 verstarb. Aber ihr Script hält sich nicht strikt an die realen Abläufe, sondern interpretiert und verdichtet die Vorgänge zu der Geschichte einer Frau, die ihr Innerstes weder verbergen kann noch will und die aus dieser Offenheit Stärke zu ziehen versucht. Wir erleben eine ebenso intelligente wie verzweifelte öffentliche Person auf der Suche nach ihrem inneren Kern, zerrissen zwischen der Sehnsucht nach Privatheit und der Abhängigkeit von öffentlicher Zuneigung. Eine extrem empfindliche Konstellation. Es war Sigmund Freud der das menschliche Bewusstsein modellhaft als durchlässige Blase beschrieb, die sich gegen die unaufhörlich eindringenden Außenreize mit der Bildung einer äußeren Verhärtung abzuschirmen versucht. Dieser „Reizschutz“. bildet demnach eine Rinde, um die inneren Schichten des Bewusstseins vor Reizüberflutung zu bewahren, ist selbst dann aber so verhärtet, dass er einer weiteren Anpassung nicht mehr fähig ist. Anpassung, Veränderung ist aber das Wesen der Schauspielerei, und so liegt nach diesem Modell Freuds die Vermutung nahe, dass es Romy Schneider nie gelungen ist, einen wirksamen „Reizschutz“ aufzubauen. Sie musste alle Angriffe auf ihr Äußeres bis ins Innerste durchlassen. Ein Schiksal, das sie mit vielen anderen Künstlern teilt, die permanent Außenreize in Form von Inspirationen aufnehmen.
Ein Drama wie eine klassische Tragödie
Marie Bäumer, der man schon länger eine äußere Ähnlichkeit mit Romy Schneider nachsagt und die selbst auch in Frankreich lebt, spielt mit eindringlicher Empathie eine Romy in Leid und zwischenzeitlichen Hochs. Sie offenbart den Segen und den Fluch des Kameraobjektivs, das Romy Schneider nie das Glück brachte, das sie suchte, aber ohne das sie auch nicht leben konnte. Flankiert wird Marie Bäumer von Charlie Hübner als Robert Lebeck und Robert Gwisdek als Michael Jürgs, dem hier die zwiespältige Rolle des Journalisten zukommt. Mit teils rücksichtslosen Fragen versucht er die ohnehin schon angeschlagene Romy in die Enge zu treiben – eine Rolle, in der sich der reale Michael Jürgs im Drehbuch nicht recht wiederzuerkennen vermochte, deren dramaturgische Notwendigkeit er nach Gesprächen mit der Regisseurin aber wohl akzeptierte. Dazu schrieb Emily Atef eine fiktive Jugendfreundin Romys namens Hilde (gespielt von Birgit Minichmayr) ins Script, die das dramatische Geschehen über die drei Tage begleitet. Bedenkt man, dass Romys Sohn David nur wenige Monate nach dem Interview in Quiberon nach einem grauenhaften Unfall starb und Romy Schneider selbst auch nur noch ein knappes Jahr zu leben hatte, bekommt der Film das Format einer griechischen Tragödie. Hilde/Birgit Minichmayr übernimmt darin den Part des Chors als Mahner und Kommentator, der zu wissen scheint, dass das Ende des Dramas ebenso vorhersehbar wie unausweichlich ist. So werden die „3 Tage in Quiberon“ zur eindringlichen Studie über das Menschsein und zu einer intensiven Momentaufnahme, die dem Wesen der Romy Schneider wesentlich näher kommt als ein das ganze Leben umfassender Biografie-Film es je vermocht hätte. Michael Eckert
Fotos: © 2018 Prokino Filmverleih GmbH