Neu im Kino: „Winchester – Das Haus der Verdammten“
Ein Horrorfilm für Eigenheimbesitzer und für Waffenliebhaber
Helen Mirren schlüpft in die Rolle der Millionenerbin Sarah Winchester, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein riesiges Mysterienhaus für die ruhelosen Gespenster ihrer Vergangenheit erbauen ließ: die Opfer von Winchester-Gewehren. Aber lassen sich rachsüchtige Geister besänftigen?
Wo das Grauen ein Zuhause findet: in Draculas Karpatenschloss, in der Laboratiums-Burg des Dr. Frankenstein oder im „ Cabinet des Dr. Caligari“; im Mörderhaus von „Amityville Horror“ oder in der mysteriösen Enfield Road; in Truman Capotes „Schloss des Schreckens“ und im Hill House aus „Bis das Blut gefriert“; in Freddy Kruegers Albtraum-Villa in der Elm Street oder im verhexten Einfamilienhaus aus Stephen Spielbergs „Poltergeist“; in Hitchcocks „Psycho“-Haus oder in Stephen Kings Overlook-Hotel aus „The Shining“.Die Kinogeschichte ist voll mit Filmen über unheimliche und verhexte Häuser, in denen sich Beunruhigendes oder gar Schreckliches zuträgt. Es sind düstere Gebäude aus der Fantasie von Drehbuchautoren und der sie ausgestaltenden Filmarchitekten, keines davon existiert wirklich. Eine Ausnahme bildet das „Winchester Mystery House“ in der kalifornischen Stadt San Jose. Erbaut wurde es ab dem Jahr 1884 von Sarah Winchester, der Witwe des Gewehrfabrikanten William Winchester. Durch die geerbte Waffenfabrik war Sarah zu einer der reichsten Frauen der Welt geworden, aber aufgrund von persönlichen Dramen – vor ihrem Mann war bereits ihre Tochter und damit ihr einziges Kind verstorben – war sie wohl davon überzeugt, dass ein Fluch über diesem Vermögen lag.
Auf der Flucht vor Geistern
Auf Anraten eines Spiritualisten verließ Sarah Winchester ihren Wohnort New Haven im Osten der USA und zog nach Kalifornien, um dort ein riesiges Haus zu bauen. Für sich, ihre Nichte und deren kleinem Sohn – und für die Seelen der Menschen, die mit einem Winchester-Gewehr erschossen worden waren. Ein Haus im viktorianischen Stil, das nie fertig werden sollte. Ständig und ohne Unterbrechung wurde es erweitert und umgebaut, Tag und Nacht. Mit kuriosen Auswüchsen. Man baute Treppen und Türen, die in Nichts führten, Fenster ohne Aussicht nach draußen und viele weitere Absonderlichkeiten. Die Anweisungen dazu kamen von Mrs. Winchester persönlich. Laut Legende wollte sie es den Geistern unmöglich machen, sie in dem Labyrinth aufzufinden und im Schlaf zu überraschen.
Sieben Stockwerke, rund 160 Zimmer, davon 40 Schlafzimmer und 47 Feuerstellen umfasste das Gebäude, als es durch das große Erdbeben 1906 stark zerstört wurde. Aber Sarah Winchester ließ weiter bauen, bis zu ihrem Tod im Jahr 1922. Heute weist das Winchester-Haus noch vier Stockwerke auf und gehört zu den Touristenattraktionen in San Jose, eine auf der Welt wohl einmalige Kuriosität.
Hellsichtig oder völlig irre?
Seltsamerweise hat es sehr lange gedauert, bis sich auch das Kino dieser bizarren Geschichte annahm. Stephen King inspirierte das Winchester-Anwesen 2002 zu der TV-Miniserie „Das Haus der Verdammnis“, allerdings ohne Verweis auf den Namen Winchester.
Das holen jetzt die australischen Filmemacher Michael und Peter Spierig nach. Die als „Spierig Brothers“ bekannten Zwillingsbrüder sind durch die Filme „Nightbreakers“ (2003), „Daybreakers“ (2009) und „Jigsaw“ (2017) eine feste Größe im Horrorfilm-Genre. Die mysteriöse Geschichte des Winchester-Hauses und seiner Erbauerin nehmen sie zum Anlass, die Legende weiter zu spinnen. War Sarah Winchester verrückt oder hellsichtig? Mit dieser Frage konfrontieren die Spierigs in ihrem neuen Film „Winchester – Das Haus der Verdammten“ den Arzt Dr. Eric Price (Jason Clarke). Der ist durch die Bücher von Sigmund Freud und anderen Pionieren der Psychiatrie mit der Analyse von Geisteszuständen vertraut, nun soll er im Auftrag des Waffenhersteller-Direktoriums herausfinden, ob die Mehrheitsgesellschafterin Sarah Winchester noch zurechnungsfähig ist. Überzeugt, in deren Haus einen schnellen Routinejob absolvieren zu können, reist Dr. Price nach San Jose und lernt die Witwe Winchester (gespielt von Helen Mirren) als beeindruckende Persönlichkeit kennen. Die ist überzeugt, dass in ihrem Hause Gespenster herumspuken und dass die nur zur Ruhe kommen, wenn sie hier nachgebaute Zimmer vorfinden, die denen gleichen, in dem sie von einem Winchester-Gewehr niedergestreckt wurden. Also baut sie einen Gruselraum nach dem nächsten. Anfangs ist Dr. Price noch überzeugt, es mit einem Hirngespinst zu tun zu haben. Doch schnell mehren sich die Zeichen für übersinnliche Aktivitäten, die schließlich bedrohliche Züge annehmen. Eine besondere Rolle kommt dabei dem vermeintlichen Hausdiener Ben Block (Eamon Farren) zu, der sich als rachsüchtiger Geist eines im Bürgerkrieg getöteten Südstaaten-Soldaten entpuppt. Aber auch Dr. Price selbst, seit einem Schicksalsschlag stark abhängig von Alkohol und dem Betäubungsmittel Laudanum, spürt eine persönliche Verbindung zu dem Haus und muss erkennen, dass er nicht zufällig für den Job ausgewählt wurde.
So darf man sich über knapp 100 Minuten kräftig gruseln. Alle möglichen Horrorgestalten und lebende Tote schleichen verunstaltet durch die Flure oder fallen aus Schränken. Die Regisseure und ihre Maskenbildner ziehen alle Register des Genres. Auch wenn es der Fantasie des Zuschauers überlassen bleiben soll, ob das Haus tatsächlich von Gespenstern heimgesucht wird oder es sich um Halluzinationen des drogenumnebelten Arztes handelt, setzt der Film mit zunehmender Dauer auf die bekannten Schockstandards. Effekte statt Atmosphäre, Horror statt Unbehagen. So funktioniert der Film wie eine Fahrt mit der Geisterbahn und steigert sich bis zur finalen Szenerie des Erdbebens von 1906 zum furiosem Höhepunkt. Als Subtext liefern die Filmemacher das schlechte Gewissen einer Frau mit, die durch Waffenproduktion steinreich geworden ist. Mit einem legendärem Gewehr, das als Replik bis heute hergestellt wird.
Die Winchester – ein Gewehr schreibt Geschichte
Die Winchester basierte auf dem legendären Henry-Repetiergewehr, das 1860 vom amerikanischen Waffenschmied Benjamin Tyler Henry entwickelt und bis 1866 in der New Haven Arms Company hergestellt wurde (Karl-May-Leser kennen das mehrschüssige Henry-Gewehr als Impulsgeber zu Old Shatterhands fiktivem „Henrystutzen“).
Dann überarbeitete Oliver Winchester die Waffe, aus der New Haven Arms Company wurde die Winchester Repeating Arms Company und aus dem Gewehr, das im amerikanischen Bürgerkrieg wegen der geringen Stückzahlen noch eine eher propagandistische Rolle gespielt hatte, wurde die Winchester – „das Gewehr, das den Westen eroberte“. Die Modelle wurden jeweils nach dem Jahr ihres Entstehungsjahrs benannt (daraus resultiert auch der Titel von Anthony Manns Westernklassiker „Winchester 73“ aus dem Jahr 1950).
Nach dem Tode von Oliver Winchester im Dezember 1880 ging die Firma an den dessen Sohn William über, aber auch der starb bereits vier Monate später an Tuberkulose. So kam dessen Witwe Sarah an die Anteilsmehrheit, und die versuchte, durch die Erweiterung der Produktpalette die Abhängigkeit der Firma von der Waffenproduktion zu verringern. Im Film sieht man Dr. Price einen Katalog der Firma Winchester durchblättern, der neben Gewehren auch harmlose Rollschuhe anbietet. Eigentlich kein schlechter Ansatz.
Man könnte auf die Idee kommen, „Winchester – Das Haus der Verdammten“ auch einmal deutschen Waffenproduzenten vorzuführen, um sie mit der verheerenden Wirkung ihrer Produkte zu erschrecken. Zwar scheint den Anteilseignern und Managern von Heckler & Koch oder von Rheinmetall Defence nicht einmal der reale Horror in der Welt etwas anzuhaben. Warum sollten sie sich nun ausgerechnet von einem effekthascherischen Kinoschocker beeindrucken lassen? Aber vielleicht ihre Ehefrauen – und Witwen.
„Winchester – Das Haus der Verdammten“ läuft ab Donnerstag, 14. März im UCI Wandsbek
Michael Eckert