Neu im Kino: „Die Grundschullehrerin“
Ein Film für alle, die Kinder haben oder sie unterrichten dürfen. Und für Leute, die nie Kinder haben wollten.
Ja, es gibt tatsächlich Filme, nach denen man das Kino mit einem weitaus besseren Gefühl verlässt, als man es vorher betreten hat. „Die Grundschullehrerin“ ist so ein Glücksfall. Die in Deutschland bislang unbekannte französische Filmemacherin Hélène Angel erzählt darin vom Alltag einer jungen Pädagogin, die ihren zehnjährigen Schülern am Ende der Grundschulzeit noch alles mitzugeben versucht, was ihnen auf dem weiteren Weg helfen soll – im Unterricht und darüber hinaus in nachmittäglichen Förderstunden.
Mit ihrem unermüdlichen Engagement gerät die allein erziehende Mutter allerdings auch in Konflikt mit der Aufmerksamkeitsspanne für ihren eigenen Jungen. Wie viel Zeit bleibt für private Pflichten, wenn man den Job als Erzieherin so ernst nimmt wie Madame Florence Mautet (gespielt von der wunderbaren Sara Forestier)? Wie viel mehr Aufmerksamkeit darf Florence ihrem Denis (Albert Cousi) widmen als seinen Mitschülern?
Dazu kommt die Sorge um Sacha (Gillas Bendjoudi). Der schwierige Junge aus der Parallelklasse kommt aus prekären sozialen Verhältnissen, und seine Mutter zeigt überhaupt kein Interesse an ihm. Auch die eigentlich zuständigen Lehrer zucken mit den Achseln: ein hoffnungsloser Fall? Nicht für Florence, die jetzt aber an ihre emotionalen und physischen Grenzen gerät. Sie muss ihr Leben neu ordnen. Welche Rolle kann dabei der Pizzabote Mathieu (Vincent Elbaz) spielen, ein Ex-Freund von Sachas Mutter und der einzige, der sich zumindest manchmal um den Jungen kümmert? Und wie geht Florence damit um, dass sich Denis vernachlässigt fühlt und nun unbedingt mit seinem Vater ins Ausland gehen will? Ausgerechnet jetzt steht auch noch eine behördliche Prüfung an, von der für Florence das berufliche Fortkommen abhängt…
Den Anstoß zu dem Film, berichtet Regisseurin Hélène Angel im Presseheft-Interview, hätten ihre Emotionen gespielt, als ihr eigener Sohn am Ende der vierten Klasse die Grundschule hinter sich ließ: „Ich musste weinen, weil es das Ende der Kindheit markierte – er hingegen war ganz aufgeregt, weil für ihn das Tor zum Leben aufging.“
Einen Großteil dieser zwiespältigen Gefühlslage konnte Héléne Angel in den Film einbringen, und mitfühlende Zuschauer werden sich ebenfalls der ein oder anderen Träne nicht erwehren können. Zu bewegend und ermutigend zugleich ist es, wie Florence sich mit Zuneigung und Beharrlichkeit für ihre kleinen Schützlinge aufopfert – und großartig zu sehen, wie die jungen Darsteller das Spiel mitmachen. Als würden sie alle spüren, worum es im Leben geht. Und als hätten sie verinnerlicht, dass das französische Kino immer wieder herausragende Filme über das komplizierte Dasein von Schülern und ihre Probleme mit Lehrern und Eltern hervorgebracht hat – von Jean Vigos „Betragen ungenügend“ (1933) über François Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (1959) bis zu „Die Kinder des Monsieur Matthieu“ (2004). Vielleicht sollte man sich hierzulande darauf besinnen, an Filme wie „Das weiße Band“ anzuknüpfen – anstatt jedes Jahr „Die Feuerzangenbowle“ zu gucken oder sich an simpel gestrickten Pauker-Klamotten der 60er und 70er Jahre à la „Hurra, die Schule brennt“ zu orientieren. Das ist die bis heute unverdaute deutsche Tradition, von der sich auch „Fack ju Göhte“ nicht hat freimachen können. Wer (außerhalb der Pubertät) will schon auf Dauer von lustigen Pseudo-Lehrern unterrichtet werden, wenn es auch PädagogInnen wie Florence Mautret gibt?
Also: „Die Grundschullehrerin“. Bitte anschauen.
Die Grundschullehrerin Trailer German Deutsch (2018)
Ab Donnerstag, 15. Februar 2018 in den Hamburger Kinos Koralle und Passage
Michael Eckert