Neu im Kino: „Das Flüstern des Wassers“
Ein Film für alle, die sich Rettung der Welt von einem Monster erhoffen.
Loslassen. Völlig entspannt dahintreiben. Die Schwerkraft überwinden, der Angst entkommen und sich eins fühlen mit der Welt: ein Traum. Für die meisten Menschen jedoch – wenn überhaupt – nur vorübergehend zu erleben. In Trance etwa. Oder beim Tanz. In der Liebe und beim Sex. Vielleicht auch schwimmend? In seinem neuen Film „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ erzählt „Hellboy“-Regisseur Guillermo del Toro von seelischen Schwebezuständen im universellen Element Wasser.
Für seine Heldin Elisa (gespielt von Sally Hawkins) ist Freiheit eine Illusion. Sie ist stumm, arbeitet in den frühen sechziger Jahren als Putzfrau beim US-Militär in den düsteren Bunker-Katakomben eines geheimen Versuchslabors. Hier herrscht eine grausige Atmosphäre, der Kalte Krieg drückt die Stimmung. Ihre schwebenden Momente holt sich Lisa bei autoerotischen Spielereien in der heimischen Badewanne. Oder bei den beschwingten Musicalfilmen, die sie in der Freizeit im Fernsehen schaut – gemeinsam mit ihrem ältlichen Nachbarn Giles (Richard Jenkins, der in dem Film auch als Erzähler fungiert).
Elisas triste Arbeitsroutine endet, als eine geheimnisvolle Kreatur unter größten Sicherheitsvorkehrungen in das Laborbecken gebracht wird. Zugang haben außer den Militärs nur ein paar Wissenschaftler – und der fiese Security-Chef Richard Strickland (Michael Shannon). Der nutzt seine Stellung, um Machtgelüste an dem fremden Geschöpf auszuleben. Aber das Amphibienwesen, das aus dem Amazonas gefischt wurde um seine Eignung für militärische Zwecke zu testen, weiß sich zu wehren. Es beißt zurück. Und während Strickland seine Wunden leckt, kann Elisa ersten Kontakt zu dem vermeintlichen Monstrum herstellen, allmählich sein Vertrauen gewinnen. Es ist der Auftakt zu einer wahrhaft phantastischen Liebesgeschichte zwischen der träumerischen stummen Putzfrau (symbolhaft eine Vertreterin der „schweigenden“ Mehrheit) und dem sensiblen Ungetüm. Für Fans klassischer Horrorfilme ist die Kreatur unschwer wiederzuerkennen als „Der Schrecken vom Amazonas“ aus den beiden „Creature from the Black Lagoon“-Streifen von Jack Arnold aus den Jahren 1954 und 1955.
Guillermo del Toro hat also eine Hommage an klassische Horrorfilme und ihr Gespür für den kollektiven Zeitgeist gedreht. Im Original heißt der Film einfach „ The Shape of Water“ – ein viel treffenderer Titel als das deutsche „Flüstern des Wassers“. Geflüstert wird hier gar nichts, aber Form, Zustand und Konturen sind in Bewegung. Story und Charaktere bewegen sich in einem Kosmos, der nur scheinbar durch politische Machtverhältnisse fixiert ist. In Wahrheit unterliegen sie einer zwingenden Metamorphose, die Dinge kommen ins Fließen. Die Mächtigen werden zu Ohnmächtigen, die Schwachen entdecken ihre Stärke, und es wird schnell klar, wer hier das wahre Monster ist, das es zu überwinden gilt.
Mit der aus dem Rahmen des Üblichen fallenden Fantasy-Story, gepaart mit dem künstlichen Studio-Ambiente und der historischen Einbettung in dunkle politische Zusammenhänge knüpft der aus Mexiko stammende Guillermo del Toro an seinen viel beachteten Erfolgsfilm „Pans Labyrinth“ aus dem Jahr 2006 an. Damals war es die Phantasie eines heranwachsenden Mädchens, das erotische Prinzessinnen-Träumereien mit der schreckhaften Vorstellung von einem totalitären System paarte – allegorisch illustrierte Ängste vor pubertären Penetrationssehnsüchten und physischer Gewalt. In „The Shape of Water“ haben wir es nun mit der Phantasie einer Erwachsenen zu tun. Frau zähmt Bestie, Sanftmut siegt über Brutalität, leise Töne über Gebrüll. Das mag weniger komplex sein als „Pans Labyrinth“ und sich erzählerisch in weniger tiefem Gewässer bewegen, genießt aber in der derzeitigen Flut von austauschbaren Comicverfilmungen mit ihren ikonischen Superhelden eine Sonderstellung im Fantasy-Genre. Der Film spiegelt die Stimmungslage in einem Land, das von der dumpfen Wichtigtuer-Rhetorik des bizarren Donald Trump und dem restriktiven Gehabe seiner ewig gestrigen Gesinnungsgenossen gebeutelt wird. Auf der anderen Seite die vermeintlich politisch korrekte, in vielen Aspekten aber reaktionäre Fraktion von kulturellen Selbstzensoren, die übers Ziel hinausschießt, jede emotionale Regung als Angriff interpretiert und unterdrücken will. Ist das unsere Vorstellung von Welt?
Der Kalte Krieg mit seinen strikten Gegensätzen, Feindseligkeiten und Abgrenzungen. Zwischen West und Ost, Nord und Süd, zwischen Schwarz und Weiß, Reich und Arm, Mensch und Natur, zwischen Mann und Frau. Er ist immer noch nicht überwunden. Vielleicht lässt er sich ja irgendwann in Wasser auflösen. Die Tagesschau meldet: Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass der Meeresspiegel sehr viel schneller steigt als bislang angenommen.
SHAPE OF WATER Trailer German Deutsch (2018)
„Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“. Ab Donnerstag, 15. Februar 2018. In den Hamburger Filmtheatern Blankeneser Kino, Koralle, Savoy, UCI Kinowelt Mundsburg und Othmarschen, Zeise.
Michael Eckert
Fotos:©20th Century Fox PresseService