Filmtipp: Die Verführten
Fünf Jahre nach ihrem letzten Kinofilm bringt die US-Filmemacherin Sofia Coppola jetzt das sinnlich-triebhafte Südstaatendrama „Die Verführten“ auf die Leinwand
Nein, „Die Verführten“ ist kein Remake des Thriller-Klassikers „Betrogen“, den Don Siegel 1971 mit Clint Eastwood drehte. Vielmehr beruhen beide Filme auf derselben literarischen Vorlage – dem Südstaatenroman „The Beguiled“ von Thomas Cullinan aus dem Jahr 1966.
Im Buch wie in den Filmen geht es um die Bewohnerinnen eines Mädcheninternats in Virginia, die 1864 den Schulalltag so normal wie möglich aufrecht zu erhalten suchen – weitgehend unbeeinflusst von dem um sie herum tobenden Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten. Die Höhere-Töchter-Idylle mit der Unterrichtsroutine aus Französisch, Näh- und Hausarbeiten wird abrupt gestört, als Amy, die jüngste Bewohnerin, einen verwundeten Unionssoldaten ins Haus bringt. Der zur Armee des Feindes gehörende Korporal John McBurney ist dem Tod näher als dem Leben, und man einigt sich im Haus schnell darauf, ihn erst dann an die eigenen Patrouillen auszuliefern, wenn der Patient sich erholt hat und nicht mehr Gefahr läuft, in einem der berüchtigten Kriegsgefangenenlager an seinen Verwundungen zugrunde zu gehen.
Die ungewohnte männliche Gesellschaft weckt bei den Lehrerinnen und Schülerinnen jedoch nicht nur Helferinstinkte. Schnell wird der zunächst hilflos im Krankenbett liegende, recht ansehnliche John zum Objekt erotischer Begierden. Wachsende Spannungen und kaum verhohlene Rivalitäten bringen erhebliche Unruhe in das Frauenhaus, die der überraschend schnell genesende Soldat zu seinem Vorteil auszunutzen versucht. Der vermeintliche Feind gibt sich als charmanter Gefangener, der nicht nur die abendlichen Tischrunden galant bereichert, sondern darüber hinaus den einzelnen Damen mit gezielten Schmeicheleien und Flirtattacken Avancen macht. So hofft er, nicht nur um die Kriegsgefangenschaft herumzukommen, sondern sich das Luxusgefängnis auch noch mit dem oder anderen Liebesabenteuer zu versüßen. Aber dann macht er einen fatalen Fehler, der die unterschwelligen Emotionen ausbrechen und die Fassade aus Umgangsformen, Anstand und Unschuld brutal auseinanderbrechen lässt.
Sofia Coppola hat den Plot weitgehend unverändert übernommen. Perspektive und Schwerpunkte sind bei ihr allerdings deutlich anders gesetzt als bei Don Siegel. Dem ging es in frühen den Siebzigern darum, dem mit Italowestern bekannt gewordenen Clint Eastwood auch in den USA zum Star zu machen. Nach dem gemeinsamen Actionfilm „Coogans großer Bluff“ wollten Regisseur und Hauptdarsteller dem Eastwood-Image des coolen Draufgängers bereits eine weitere Facette hinzufügen, indem sie den Macho in die Hände einer Gruppe begieriger Frauen fallen ließen. Entsprechend liegt der Schwerpunkt des Films auf den Versuchen des Nordstaaten-Korporals, die Situation mit vorsichtigem Abchecken und dem behutsamen Anzetteln von Intrigen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Eastwoods Image-Bruch war ein Wagnis, das sich an den Kinokassen nicht auszahlte. „Betrogen“ wurde zum kommerziellen Flop, der vermutlich jedoch einkalkuliert war und noch im selben Jahr durch Siegels nachfolgenden Eastwood-Actionthriller „Dirty Harry“ mehr als kompensiert wurde.
Sofia Coppola, deren Film im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes mit der Goldenen Palme für die beste Regie ausgezeichnet wurde, legt ihr Augenmerk dagegen auf die weiblichen Akteure, auf deren verordnete, durch Isolation geschützte Harmonie und die dahinter verborgenen Träume, Gelüste und Sehnsüchte.
Nicht zufällig beginnt Coppolas Film wie ein düsteres Rotkäppchen-Märchen, wenn die kleine Amy ganz allein mit einem Körbchen zum Pilze-Sammeln in den Wald geht und der blutig verschmierte, bärtige Feindsoldat – hier gespielt von Colin Farrell – wie ein böser Wolf in ihr Leben einbricht. Daheim im Pensionat erscheint der behaarte, geschundene aber auch Begierde weckende Männerkörper wie ein fremdes Wesen, das die abgeschotteten Bewohnerinnen mit einer Mischung aus Angst und Neugier fasziniert.
Der Film erzeugt eine Atmosphäre von hermetischer Abgeschlossenheit, die durch den im Hintergrund ständig zu hörenden Kanonendonner des nahenden Krieges, aber auch durch zunehmenden internen Zwist bedroht ist. Wie lange die Bewohnerinnen – großartig gespielt vom weiblichen Cast um Nicole Kidman, Kirsten Dunst und Elle Fenning – die Gefahr durch sturen Trotz übergehen können, ist eine Frage der Spannung, wirft aber auch ein Schlaglicht auf die Situation in den heutigen USA unter Donald Trump: Wird man sich dort dauerhaft im „America first“-Gefühl einigeln und die ausufernden Konflikte der übrigen Welt ignorieren können?
Es passiert nicht oft, dass zwei gleichwertig gute Filme nach einer literarischen Vorlage gedreht werden. Es lohnt der Vergleich, und man möchte Sofia Coppola wünschen, dass ihr ein größerer Kassenerfolg beschieden ist als ihrem Vorgänger. In der Filmgeschichte finden ohnehin beide Versionen ihren Platz.
Michael Eckert
Originaltitel: „The Beguiled“. USA 2017, Drehbuch und Regie: Sofia Coppola. Darsteller: Colin Ferrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fenning, Oona Laurence, Angourie Rice, Emma Howard, Addison Riecke. 93 Minuten