Lisa Eckhart präsentiert „Omama“ im Literaturhaus Hamburg
Frei von Protesten und Drohungen las Lisa Eckhart aus ihrem Debütroman
Was gab es dieses Jahr nicht schon alles an Aufregung über die österreichische Kabarettistin und Schriftstellerin Lisa Eckhart? Bereits im Mai wurde ihre (damals bereits zwei Jahre alte) Satire unter dem Urteil der Diskriminierung zerfleddert. Nicht nur von frustgeladenen Vogelfreien in den Kommentarspalten des weltweiten Internetzes, sondern auch von Leuten in Amt und Würden.
Träger von wichtigen Titeln wie Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus (Dr. Felix Klein) bezeichneten unter anderem ihren Auftritt bei den WDR Mitternachtsspitzen als „geschmacklos und kritikwürdig“. Andere Stimmen folgten rasch. Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit standen plötzlich im Raum.
Seitdem wird Lisa Eckhart selbst in wohlwollenden Pressebeiträgen als „umstrittene Kabarettistin“ bezeichnet. Faktisch wohl durchaus wahrheitsgemäß wird dieser Begriff ihr nicht gerecht. Lisa Eckhart ist eine missverstandene Kabarettistin.
Aufarbeitung eines kläglichen Schauspiels
Diese Missverständnisse, die nach Meinung des Autors eine geradezu ignorante Unkenntnis des Werkes von Eckhart voraussetzen, führten im Corona-Sommer 2020 sogar dazu, dass Lisa Eckhart vom Harbour Front Literaturfestival in Hamburg ausgeladen wurde. Angeblich standen Drohungen des „Schwarzen Blocks“ aus der Hafenstraße im Raum.
Der Debütanten-Salon – bei dem auch Eckharts Roman für die Auszeichnung mit dem Klaus-Michael Kühne-Preis als bester Debütroman 2020 nominiert war bzw. wieder ist – sollte von Autonomen „gesprengt“ werden (was auch immer das genau bedeuten soll). Zudem weigerten sich zwei der mitnominierten Autoren, an der Seite von der vermeintlich antisemitischen und bösartigen Lisa Eckhart aufzutreten. Daraufhin wandte sich das Festival an die österreichische Schriftstellerin und bat sie, von sich aus der Veranstaltung fern zu bleiben. Was für ein ungeheuerliches Vorgehen! Dieses lehnte Lisa Eckhart natürlich ab, was die Ausladung zur Folge hatte.
Es gab ein wildes Hin und Her aus berechtigter Bestürzung der Kulturszene über diesen Akt der Zensur sowie hektischen Unschuldsbekundungen der Veranstalter (Nochtspeicher und Literaturfestival). Keiner wollte es gewesen sein und zensieren wollte man Frau Eckhart ja eh nicht. Nun wurde sie also doch wieder eingeladen mit dem Vorschlag, sie könne ja per Videokonferenz dazu geschaltet werden. Es wird ein Rätsel bleiben, welcher irrsinnige Geist dort in die Organisatoren des Events gefahren war, aber schlechter hätte sich das Harbour Front Literaturfestival nicht präsentieren können. So bleibt zwar der Roman aus Marketing-Gründen im Rennen um den Debütanten-Preis, eine Lesung von Lisa Eckhart wird es jedoch nicht geben. Dem NDR gegenüber begründete Lisa Eckhart nachvollziehbar, sie wolle niemanden als Schützer der Kunstfreiheit auszeichnen, der sich das nicht verdient habe. Wohl wahr!
„Cancel Culture“ – Geißel der Denkfreiheit oder Verschwörungstheorie?
Seitdem wird medial heftig um das Phänomen „Cancel Culture“ gestritten. Die einen verorten den Begriff sofort bei den Verschwörungstheoretikern und rechten Denunzianten (um das Nachdenken über das Phänomen direkt wieder zu känzeln). Die anderen nehmen unnachgiebig die linke Szene unter Beschuss, der es daran gelegen sei, eine moralische Diktatur zu begründen, in der jeder frei sagen dürfe, was er wolle, solange er vorher das Richtige denke.
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, wenn auch deutlich weiter vom absurden Vorwurf der Verschwörungstheorie entfernt. Und „Cancel Culture“ lässt sich an keinem politischen Spektrum festmachen, sondern an der Geisteshaltung einer moralischen Reinhaltung unserer Gesellschaft. Alles soll schön sauber sein. Die Maßstäbe dessen, was Schmutz ist, legt aber jeder für sich aus. Somit ist auch jeder bedroht, ins Kreuzfeuer des öffentlichen Verrufes zu geraten. Ein dialektik-feindliches Kommunikations-Milieu, welches auf Rechthaberei und Egozentrik fußt.
Und ja, die vergangenen Debatten scheinen auch in Lisa Eckhart Zweifel an ihrer Schaffenskraft gerührt zu haben. Zum Glück zwar nicht an ihrer bestehenden Satire, wohl aber an dem nun eintretenden Erfolg ihres Buches.
Jetzt wisse sie ja nie, ob sie diesen Erfolg nur dem Wirbel um die Kultur-Känzeller zu verdanken habe, oder ob ihre wirkliche Genialität als Schriftstellerin gewürdigt werde.
Zum Roman – wo Poesie, Intellekt und derber Humor ungebremst zusammenscheppern
Diese Angst ist ihr zu nehmen – ihr Werk wäre nicht minder großartig, wenn es nicht diese verfehlten Aufregungen um ihre Kunst gegeben hätte. Lisa Eckhart kredenzt einen gehaltvollen Roman. In der Manier einer allumsorgenden Großmutter, die einen mit feisten Speisen abfüllt, bis sie einem zu den Ohren wieder herausquellen, verpackt Eckhart in „Omama“ eine Mischung aus Sprachgewalt, Ironie und geschliffenem Timing. Man müsste bereits nach dem Prolog satt sein und doch muss man weiterlesen.
Das mag mancher Kritiker vielleicht als überladen und überambitioniert betiteln, aber es ist schlicht und ergreifend den Umständen angemessen.
Lesung im Literaturhaus Hamburg
Ein wahrer Genuss war dann der persönliche Vortrag ihres Werkes im Literaturhaus Hamburg am 3. September 2020. Es war kurz nach halb acht, draußen herrschte windgepeitschter Nieselregen, als die Autorin von Applaus begleitet die Bühne betrat. Zunächst war Eckhart enttäuscht über die ausgebliebenen Protestwellen, durch welche sie sich nun nicht undercover zum Veranstaltungsort hatte durchschlagen müssen. Schnell aber fand sie sich in einer entspannten Stimmung ein, nippte zufrieden an ihrem Aperitif und ließ sich geduldig auf die Besprechungen um ihre Person und ihr Werk ein.
In zwei Abschnitten gab die Eckhart dann jeweils eine Textpassage zum Besten, die dem Zuhörer ein buntes Bild von der Oma Helga zeichneten – der erste Abschnitt aus der frühen Nachkriegszeit (Helga kam gerade in die Pubertät), als „der Russe“ vor der Tür stand. Der zweite Abschnitt ereignete schon einige Jahrzehnte später, Omama war mittlerweile Reisebegleitung in einem Bus, der regelmäßig betagte Touristen zum Salami schmuggeln nach Ungarn karrte (damals noch Ostblock im Endstadium). Das dabei heraufbeschworene paneuropäische Picknick ging – unter leicht abweichenden Umständen – in die geschichtlichen Annalen der Wiedervereinigung ein.
Moderiert wurde der Abend von Rainer Moritz, dem Chef des Literaturhauses. Er hatte sichtlich Spaß an der Unterhaltung mit der bzw. durch die schöne Besucherin aus unserem schönen Nachbarland. Auch das Publikum würdigte den schwungvollen Vortrag der Autorin mit vielschichtigen Emotionen und beherzten Lachern.
Doch lebt dieser Roman einzig von dem Vortrag der Autorin, wie es von einigen Journalisten nun öfters geschrieben wurde? Ist natürlich Geschmackssache, aber es reichen die Kenntnis um den typischen Tonfall der Lisa Eckhart sowie ein Fünkchen eigens eingebrachte Vorstellungskraft, um „Omama“ auch selbst gelesen vollends genießen zu können. Für alle anderen leistet das von der Autorin eingelesene Hörbuch Abhilfe.
„Omama“ empfehlenswert? Definitiv!
Beide Textpassagen sowie das gesamte Buch strotzen nur so vor herrlichen Übertreibungen. Man beneidet die Autorin um ihre lebhafte Phantasie. Denn wie sie selber eingesteht, seien zwar die Namen der Figuren allesamt authentisch dem Leben entnommen, die Handlungen seien jedoch so frei ausgeschmückt, dass es einigen der Erwähnten schwerfallen müsse, sich darin wieder zu finden.
Im Ergebnis bietet dieser Roman beste Unterhaltung und ist eine der großen Literaturempfehlungen des Jahres 2020.
Fotos: ©troebinger