Filmfest Hamburg eröffnet: Kino gegen den Strom
Schwerpunkt liegt auf Filmen mit einer humanitär-politischen Haltung
Mit der isländischen Produktion „Gegen den Strom“ wurde am gestrigen Donnerstagabend das diesjährige Filmfest Hamburg eröffnet. Filmfest-Direktor Albert Wiederspiel unterstrich in seiner Eröffnungsansprache noch einmal, dass auch 2018 Filme mit einer humanitär-politischen Haltung einen, wenn nicht sogar den Schwerpunkt im Festivalprogramm bilden. Und das gerade auch in einer Gegenwart, in der ihn die realen politischen Zustände manchmal sprachlos machen würden. Film könne zwar die politischen Gegebenheiten nicht ändern, aber wichtige Zeichen setzen.
Wiederspiel erinnerte an die dramatische Lage von Filmemachern im Iran, wie Mohammad Rasoulof, der mit seinen Werken schon mehrfach beim Filmfest vertreten war und in Hamburg lebt, aber aus dem Iran nicht ausreisen darf. An Jafar Panahi, den diesjährigen Preisträger des Douglas-Sirk-Preises, der in seinem Heimatland Berufsverbot hat und nicht nach Hamburg kommen darf, um den Preis persönlich entgegenzunehmen. Und Wiederspiel erinnerte an das Schicksal des russischen Regisseurs Kirrill Serebrennikov, der in seiner Heimat unter Hausarrest steht, sowie an den in Russland inhaftierten ukrainischen Filmemacher Oleg Senzow, der sich seit Mai im Hungerstreik und bereits in einem äußerst kritischen Zustand befindet.
Geschichten statt Parolen
Politisches Kino beim Filmfest Hamburg hat jedoch nicht mit Parolen- oder Thesenverkündigungen zu tun, sondern in erster Linie mit Geschichtenerzählen, von Menschen für Menschen. Den Beleg dafür lieferte gleich die Eröffnung mit „Gegen den Strom“. Keinen der rund 2000 Premierengäste im Cinemaxx am Dammtor ließ diese hintergründig humorvolle wie auch spannende Story um eine findige Öko-Aktivistin in Island kalt. Die von Halldóra Geirhardsđóttir hinreißend verkörperte Halla ist nicht mehr ganz jung, Single und als Leiterin des Chors im Ort beliebt. Aber fest davon überzeugt, dass die Industrie unseren Planeten zerstört, führt sie einen heimlichen Untergrundkrieg gegen die örtliche Aluminiumhütte, indem sie immer wieder deren Stromversorgung lahmlegt. Ein ärgerlicher Störfaktor nicht nur für die Firma, sondern auch für die isländische Regierung, die fürchtet, die Sabotage-Aktionen könnten die chinesischen Investoren abschrecken. Mit allen erdenklichen Mitteln und Hightech, mit Helikoptern, Drohnen, sogar mit Unterstützung amerikanischer und israelische Geheimdienste, versucht die Polizei, die Sabotageaktionen zu unterbinden und die vermeintliche Ökoterror-Organisation dingfest zu machen. Aber Halla ist Einzelkämpferin und den Behörden immer einen Schritt voraus. Wie sie ihren Verfolgern immer wieder ein Schnippchen schlägt, reizte das Premierenpublikum zum Lachen und rief Szenenapplaus hervor.
Die letzte Unabhängige
Man kann „Gegen den Strom“ als typische David-gegen-Goliath- Geschichte genießen, als Kampf einer Einzelnen, einer letzten Unabhängigen gegen einen ignoranten, aber übermächtigen Behördenapparat – egal, welcher politischen Haltung anhängt oder den Klimawandel für eine Bedrohung oder eine Erfindung hält. Als gelungenes, spannendes wie auch humorvolles Unterhaltungskino. Wer genauer hinschaut, wird im Film aber auch durchaus ernst gemeinte Hinweise darauf finden, wie stark mittlerweile die staatlichen Überwachungsmechanismen in unser Leben eingreifen, wie Massenmedien sich dazu hergeben, Kritiker des Systems zu diskreditieren, in die Nähe des Terrorismus zu stellen.
Wunderliches Island
Regisseur Benedikt Erlingsson erzählt seinen Film mit einer ähnlichen Raffinesse wie die, mit der seine Protagonistin Halla gegen die staatliche Übermacht ankämpft: Bestens gelaunt und nach einem sportlichen Sprung auf die Bühne des Cinemaxx erklärte er vor Beginn des Films, dass es in seinem Film keine Toten, keine Schießerei und keinen Sex gäbe, nur eine ziemliche Dramatik. Das ist skandinavisches Understatement. Wie er es schafft, das Publikum für seine zunächst etwas spröde und lebensfremd wirkende Heldin einzunehmen, zeugt von einem erzählerischen Verständnis, wie es nur ganz große Meister aufbringen. Auf die Frage von Albert Wiederspiel, wie ein so kleines Land wie Island immer wieder so herausragende Werke hervorbringt, sei es in Film, Musik, Kunst oder Literatur, fällt vielen der mystisch-magische Hintergrund im Land der Geysire und Trolle ein. Hauptdarstellerin Halldóra Geirhardsđóttir, die sich auf der Cinemaxx-Bühne ebenso agil und humorvoll präsentierte wie ihr Regisseur und gar nichts mehr mit der auch etwas verträumten Halla zu tun hatte, gab eine einfachere Antwort: Gute Ergebnisse in der Arbeit sind auch das Verdienst einer guten Erziehung. Dies und mehr werden rund 130 weitere Filmfestfilme der Politik in den kommenden neun Tagen ins Stammbuch schreiben.
Und wer „Gegen den Strom“ gestern nicht sehen konnte: Der Film startet am 13. Dezember regulär in den Kinos. Termin notieren und dann hingehen. Es lohnt sich.
Filmfest-Programm unter www.filmfest-hamburg.de
Foto: Gegen den Strom: ©Slot Machine