Jetzt im Kino: Neues aus dem Geisterreich
Mit „Flatliners“ und „A Ghost Story“ bringt Hollywood jetzt gleich zwei neue Filme ins Kino, die sich mit der Idee von einem Leben nach dem Tode beschäftigen.
Herzstillstand. Aus, vorbei, der Patient ist tot. Der Monitor am Krankenbett zeigt keine Ausschläge für Puls und Herzschlag mehr an, nur noch eine flache gerade Linie. „Flatliners“ nennt man in amerikanischen Hospitälern deshalb Patienten, die keine Lebenszeichen mehr von sich geben. Exitus, Fall erledigt. Aber was ist, wenn unabhängig von Puls und Herzfrequenz Teile des Gehirns noch arbeiten sollten und dann Dinge wahrnehmen, die uns Lebenden verborgen bleiben?
Mit dieser Frage spielte bereits 1990 der (spätere „Batman“-)Regisseur Joel Schumacher in seinem Film „Flatliners“. Die Story: In geheimen nächtlichen Selbstversuchen befördert sich eine Gruppe angehender Mediziner nacheinander ins Jenseits und lässt sich dann rechtzeitig von den Kollegen wiederbeleben, so dass jeder von seinen Erfahrungen im Tod berichten kann. Der Film punktete mit seinen düsteren Visionen, aber auch mit jungen Hauptdarstellern wie Julia Roberts, Kiefer Sutherland, William Baldwin oder Kevin Bacon, die damals gerade erst im Begriff waren, in die erste Star-Garde Hollywoods aufzusteigen.
27 Jahre sind seither vergangen, und nicht nur die Hirnforschung, sondern auch die Tricktechnik der Traumfabrik hat Fortschritte verzeichnet. Grund genug, sagte sich vielleicht auch Mitproduzent Michael Douglas, um „Flatliners“ jetzt in einer aktuellen Neuverfilmung als aufregenden Trip ins Jenseits anzubieten (seit 30. November bundesweit im Kino, in Hamburg im Cinemaxx Dammtor und in den UCI Filmtheatern in Othmarschen und Wandsbek). Von der Sicherheit des Kinosessels aus können wir verfolgen, wie sich vier junge Medizinstudenten dem Experiment des eigenen Ablebens aussetzen und rauschartige Ausflüge ins eigene Unterbewusstsein unternehmen. Und dies nicht nur aus wissenschaftlicher Neugier, wie wir dann erfahren, sondern weil jedem der vier ein Ereignis aus der eigenen Vergangenheit auf der Seele lastet, von dem man wissen will, ob es über den Tod hinaus Konsequenzen hat. Alt-„Flatliner“ Kiefer Sutherland tritt noch einmal in einer Gastrolle auf, aber die vier Studenten werden jetzt von gespielt von Ellen Page („Juno“), Nina Dobrev („The Vampire Diaries“), Kiercy Clemons („Bad Nabors 2“) und dem Briten James Norton, der bislang vor allem in einigen Serien der BBC auf sich aufmerksam machte. Ergänzt wird das ärztliche Nachwuchsquintett durch den Mexikaner Diego Luna, der in „Star Wars: Rogue One“ den Cassian Andor spielt und der hier in der Rolle des Jamie den vernünftigen Part unter den todesmutigen Studenten übernimmt: Jamie geht selbst nicht auf den selbstmörderischen Trip, sondern holt seine Kommilitonen rechtzeitig ins Leben zurück – eine Aufgabe, die sich das ein oder andere Mal hoch dramatisch gestaltet. (Also, liebe Kinder: Bitte nicht nachmachen!)
Aber nicht nur die Wiederbelebung, auch das Leben danach wird für die Rückkehrer zur existentiellen Herausforderung. Nach anfänglicher Euphorie zeigt sich, dass das im Tod Erlebte nun ganz drastisch in die Gegenwart eingreift. Jeder der vier ehemaligen Todeskandidaten wird von seiner Vergangenheit eingeholt, und nicht jeder der vier wird diese Grenzerfahrung lange überleben. Damit auch wir Zuschauer das Geschehen als Horrortrip wahrnehmen, greift der aus Dänemark stammende Regisseur Niels Arden Oplev das ein oder andere Mal in die Trickkiste des klassischen Gruselschocker-Kinos. Zombie-artige Schreckgestalten aus der Schattenwelt greifen nach den Jungmedizinern, fordern untermalt von reißerischen Soundeffekten Wiedergutmachung für das, was ihnen einst angetan wurde. Immerhin lässt Regisseur Oplev Raum genug für die Vorstellung, dass es sich bei den Horrorvisionen doch nicht um reale Erlebnisse dreht, sondern um letzte Streiche, die uns das Gehirn vor dem endgültigen Ableben spielt.
Ähnliches versucht Regisseur David Lowery mit seiner ruhigen Gespenter-Phantasie „A Ghost Story“ (Kinostart: 7. Dezember). Ein junges verliebtes Ehepaar, das wir namentlich nur unter den Buchstaben C und M kennen lernen, genießt sein junges Glück in einem kleinen Vorstadthaus – bis ein Unfall den Ehemann C aus dem Leben reißt. Der Unfallhergang selbst wird nicht gezeigt, aber wir sehen M in der Pathologie des Krankenhauses stehen, wie sie ihren toten Mann noch einmal anschaut, ihm dann das Laken übers Gesicht breitet und das Krankenhaus verlässt. Kurz danach aber steht auch der tote C auf und spaziert – das weiße Laken immer noch über Kopf und Körper ausgebreitet – durch den Haupteingang aus dem Krankenhaus, unbeachtet von den vielen Menschen in den Fluren des Hospitals. Aussehend wie eine erwachsene Ausgabe von „Hui Buh das Schlossgespenst“ kehrt der weiß gewandete Geist zielstrebig in sein Vorort-Häuschen zurück und muss dort erleben, dass auch seine M ihn nicht mehr wahrnehmen kann. Hilflos muss C mit ansehen, wie die junge Witwe um ihn trauert. Zeit vergeht, und irgendwann beginnt M ein neues Leben, andere Bewohner ziehen ein. C ist verzweifelt, betätigt sich als Poltergeist, um die Eindringlinge zu vertreiben, aber er kann sein Schicksal dauerhaft nicht ändern. Das Haus wird abgerissen, muss einem neu errichteten Business-Distrikt weichen. Wie ein Fremdkörper spukt C durch den Beton-Rohbau und dann durch die geschäftigen Konferenzsäle, bis er sich verzweifelt vom Dach des Hochhauses stürzt. Aber kann ein Geist Selbstmord begehen?
Mit einfachen Mitteln, weitgehend ohne Spezialeffekte skizziert Regisseur Lowery die Unerbittlichkeit von Zeit. Dinge geschehen, ohne dass wir wirklich Einfluss nehmen können. Das in seinem weißen Gewand fast lächerlich dastehende C-Gespenst wird zur Metapher unserer Machtlosigkeit. Ist es die letzte Wahrnehmung eines Sterbenden, der nicht, wie oft behauptet, in Sekundenbruchteilen sein vergangenes Leben an sich vorbeiziehen lässt, sondern sich in einer Nahtod-Erfahrung eine ängstliche Vision von einer Zukunft ohne ihn ausmalt?
Wie „Flatlinders“ findet auch „A Ghost Story“ einen Vorgängerfilm im Jahr 1990. Damals in „Ghost“ war Patrick Swayze ein über den Tod hinaus liebender Ehemann, der seine von Demme Moore gespielte Ehefrau aus dem Jenseits beschützte und mit seiner überirdischen Fürsorge Millionen Kinogänger zu Tränen rührte. David Lowery hat jetzt mit „A Ghost Story“ keinen solchen Trost mehr parat. Von der Idee einer bedingungslosen Liebe hat er bereits 2013 in seinem Thriller-Drama „The Saints – Sie kannten kein Gesetz“ erzählt. Casey Affleck und Rooney Mara spielten darin ein Gangsterpaar in Bonnie-und-Clyde-Manier, das sich treu bleibt bis in den Tod. Als C und M sind die beiden nun in „A Ghost Story“ dazu verdammt, ohne Abschied voneinander zu scheiden. Plötzlich und endgültig. Ihr gemeinsames Leben löst sich in Nichts auf. Als wollten sie und David Lowery uns sagen: „Liebt euch, solange ihr noch lebt!“
FLATLINERS Exklusiv Trailer German Deutsch (2017)
Fotos: © Sony Pictures