Filmfest mit vielen Höhepunkten
Vom 5. bis 14. Oktober ist wieder Kinozeit in unserer Stadt: Das 25. Filmfest Hamburg bietet zahlreiche auf- und anregende Einblicke in das aktuelle internationale Filmschaffen
Herzlichen Glückwunsch! Filmfest Hamburg feiert in diesem Jahr sein 25. Jubiläum. Für den Senat ist das aber offenbar kein Grund, das Festival von Sparmaßnahmen zu verschonen. Schade eigentlich. Schließlich ringt Filmfest Hamburg hinter der Berlinale stets um einen vordersten Platz unter den größten Filmfestspielen Deutschlands. Aufgrund des Sparzwangs fällt das Filmfest in diesem Jahr quantitativ etwas kleiner aus – was ja nicht zwangsläufig auf Kosten der Qualität gehen muss. Im Vergleich zu 2016 sind rund 50 Filme weniger im Programm, dazu fällt noch der im letzten Jahr erstmals durchgeführte Wiederholungs-Sonntag nach Festival-Abschluss weg.
Übrig bleiben 132 Filme in deutscher Erstaufführung, die in 216 Vorstellungen in fünf Kinos präsentiert werden: Cinemaxx Dammtor, Abaton, Passage, Metropolis und Studio-Kino. Eröffnet wird das Programm am 5. Oktober im Cinemaxx mit der US-amerikanischen Independent-Produktion „Lucky“. Es ist das Regiedebüt von John Carroll Lynch, der bislang ausschließlich als Schauspieler in rund 100 Kinofilmen und TV-Episoden in Erscheinung trat, zumeist in Nebenrollen. Unvergesslich seine Performance 1996 in „Fargo“ als arglos-braver Ehemann der schwangeren Provinzpolizistin Marge.
Vor allem jedoch ist „Lucky“ das filmische Vermächtnis von Hauptdarsteller Harry Dean Stanton, der erst kürzlich am 15. September verstorben ist und der sich hier in seiner zurückhaltenden Art noch einmal als einer der profiliertesten Charakterdarsteller des amerikanischen Kinos zeigt. Als alter eigenbrötlerischer Atheist Lucky haust er mit festem Tagesablauf einsam in der Wüste Arizonas, muss sich aber gegen Ende seines Lebens noch einmal die Sinnfrage stellen und sich auf eine ganz persönliche spirituelle Reise begeben. Mit seinen starken Bildern des vogelfreien Wüstenwanderers Harry Dean Stanton lässt „Lucky“ unweigerlich an Wim Wenders „Paris, Texas“ denken, in dem Stanton 1984 als ziellos Suchender wohl die Rolle seines Lebens spielte.
Wim Wenders selbst ist ebenfalls prominent im Festivalprogramm vertreten. Als einer der wichtigsten Erneuerer des deutschen Kinos in den 70er Jahren und als einer der wenigen deutschen Regisseure mit Weltruf wird er jetzt mit Hamburgs höchst dotierten Kulturpreis ausgezeichnet, dem Douglas-Sirk-Preis von Filmfest Hamburg. Dazu zeigt Wenders seinen neuen Film „Submergence“. Das Drama entstand als französisch-deutsch-spanische Koproduktion und erzählt von einem Paar, dessen Liebe sich unter extremen Bedingungen in getrennten Leben bewähren muss.
Kampf gegen den Stillstand
Vergebens sucht man im diesjährigen Festivalprogramm nach einem speziellen Gastland mit einer Rückschau auf dessen signifikante Filme. Nachdem die Festivalzuschauer in den letzten Jahren mit Filmgeschichte aus Ländern wie Island, Kanada, Israel, der DDR oder Mexiko vertraut gemacht wurden, muss man diesmal auf eine Retrospektive verzichten. Trotzdem zeigt sich das Filmfest auch 2017 wieder ambitioniert-international. Besonders erfreulich, dass endlich wieder Russland mit drei aktuellen Filmen vertreten ist, darunter das Ausstattungs-Opus „Mathilde“ mit dem deutschen Schauspieler Lars Edinger als Zaren-Thronfolger Nikolaus. Überaus sehenswert ist auch das Drama „Arrhythmia“, in dem ein junges Ärztepaar mit den Schwierigkeiten des russischen Gesundheitssystems, mit störrischen Patienten und deren Angehörigen, mit den Verkehrsstaus in der Stadt, vor allem aber mit dem Stillstand in der eigenen Ehe zu kämpfen hat. Über allem waltet das traurig-melancholische Gesicht von Hauptdarsteller Alexandr Yatsenko, dessen Physiognomie Festivalleiter Albert Wiederspiel in einer Vorab-Vorführung des Films nicht zu Unrecht mit Buster Keaton, dem Schicksals-Stoiker der Stummfilm-Komödien, verglich.
Das iranische Filmschaffen ist beim Hamburger Filmfest traditionell stark vertreten, auch wenn die Filme nicht immer mit Einverständnis der dortigen Regierung realisiert wurden. Zu sehen ist diesmal unter anderem „Teheran Tabu“. Der Film erzählt – in einer speziellen Animationstechnik bewusst verfremdet – vom Leben in den Bereichen Teherans, die nicht zum offiziellen Bild der persischen Metropole gehören und die von Korruption, Prostitution und Drogen geprägt sind. In der persischen Provinz spielt dagegen „A Man of Integrity“ . Der neue Film von Mohammad Rasoulof beleuchtet mit einer Story über einen Fischzüchter in der persischen Provinz weitere im Schatten liegende gesellschaftliche Mechanismen und Machenschaften im Iran. Zwar konnte Rasoulof diesmal mit offizieller Genehmigung drehen, dennoch wurde er nach einer Auslandreise von den örtlichen Behörden vorübergehend festgesetzt, und man nahm ihm den Pass ab. Ob Rasoulof seinen Film am 11. Oktober in Hamburg persönlich vorstellen kann, ist noch ungewiss.
Aus den Dokumentarfilmen des Festivals ist diesmal ein Werk des chinesischen Exilkünstlers Ai Weiwei herauszuheben. Ein Jahr lang hat der Polit-Migrant in 23 Ländern Flüchtlinge mit der Kamera begleitet und ihr Schicksal in „Human Flow“ zu einem mitfühlenden Dokument der Menschlichkeit zusammengefasst. Dazu passt der Film des syrischen Filmemachers Zlad Kalthoum. In „Taste of Cement“ skizziert er das Schicksal einiger der 1,4 Millionen in den Libanon geflüchteten Landsleute, die dort unter schwierigsten Bedingungen leben und den Kontakt zur Heimat aufrecht zu erhalten suchen, dabei immer auf Rückkehr hoffen.
Großes Kino, spannendes Fernsehen
Neben den vielen künstlerisch und politisch ambitionierten Filmen gibt es auch großes Unterhaltungskino zu sehen. Ein Beispiel: In „Der Mann aus dem Eis“ spielt Jürgen Vogel einen Jäger vor 5000 Jahren, der sich im Hochgebirge auf die Suche nach den Mördern seiner Familie begibt und dabei auch mit den Widrigkeiten einer unbarmherzigen Natur zu kämpfen hat. Inspiriert ist der Film natürlich von dem 1991 in den Alpen gefundenen Vorzeitmenschen „Ötzi“.
Mit einem besonderen Highlight wartet die Sektion 16:9 – Fernsehen im Kino auf: : Am 12.10. werden die ersten beiden Folgen von Tom Tykwers mit Spannung erwarteter Serie „Babylon Berlin“ gezeigt. Die Serie entstand nach dem Krimi-Bestseller „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher und spielt im Berlin der frühen 30er Jahre. Abgeschlossen wird das Filmfest am 14. Oktober mit „The Square“ des dänischen Regisseurs Ruben Östlund, der 2014 mit „Höhere Gewalt“ bereits eine recht giftige Gesellschaftsstudie vorgelegt hat. Mit „The Square“ gewann Ödlund jetzt die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes. Erzählt wird vom Abstieg eines etablierten Kunst-Kurators in Stockholm, der nach einer Reihe von falschen Entscheidungen den vermeintlich sicher geglaubten Boden unter den Füßen zu verlieren droht.
Über das Programm hinaus verweist Filmfest Hamburg auch wieder auf die Veranstaltungen im Festivalzelt auf dem Parkplatz vor dem Abaton-Kino mit seinen täglichen vielfältigen Informations- und Diskussionsrunden zum Thema Film und Filmemachen.
Das komplette Programm und Online-Tickets gibt es unter http://www.filmfesthamburg.de/de/programm/.
Michael Eckert
Beitragsbilder: ©Filmfest Hamburg / Cordula Kropke, Lucky ©Alamode, Submergence ©NFP Marketing Distribution GmbH, A Man of Integrity ©Pouyan Behagh